
Interview mit Dr. Georg König, ehemals Ehrenpräsident der ÄRZTE FÜR AKUPUNKTUR
FRAGE: Herr MR Dr. König, was halten Sie vom aktuellen Stand der Medizin?
Noch immer gilt das von DESCART eingeführte Denkmodell vom Menschen als Maschine, damit erklärt sich auch der Drang, alles zu analysieren und in immer kleinere Teile zu zerlegen (je kleiner, desto besser erforschbar). Jede Wirkung sollte kausal anhand chemisch- physikalischer Ursachen erklärt werden. Das Experiment, ein isolierter Teil der vielfältigen Wirklichkeit, hat seither eindeutig, widerspruchsfrei und begründbar zu sein, das Resultat meß- und reproduzierbar. Diese von Europa ausgehende Methode brachte den großen technischen Fortschritt: die Physik und ihre Methoden wurden zur Naturwissenschaft schlechthin, zum Vorbild möglichst vieler Wissenschaften (PIETSCHMANN).
Die erfolgreichen Methoden der Physik wurden zu Recht und mit Erfolg von der Medizin übernommen und sind weiterhin teilweise unentbehrlich. Das cartesianische Denkmodell ist zur Reparatur eines Organes (Entfernung, bzw. Ersatz einzelner Teile, bzw. Stoffe wie Hormone u.s.w.) durchaus geeignet: es gibt dazu keine vollwertige Alternative, wohl aber Ergänzungen, da jede Methode auch Grenzen hat.
Der analytischen Methode verdanken wir den Großteil unseres bisherigen medizinischen Fortschritts, aber dennoch wird das Einbeziehen psychischer, umweltbedingter u. a. Faktoren immer dringender, wie dies nicht zuletzt durch die Zunahme von Depressionen und psychosomatischer Störungen deutlich wird.
Die analytische Methode hat aber vor allem einen systemimmanenten Nachteil: Jedes analytisch gelöste Problem schafft mehrere neue Probleme. Das Wissen nimmt zwar zu, aber das Unwissen noch mehr. Es handelt sich hier um eine typische Scherensituation: "etwas wird immer notwendiger, gleichzeitig jedoch immer weniger durchführbar". In der Praxis scheitert dieses System zuallererst an den explosionsartig ansteigenden Kosten.
FRAGE: Was verstehen Sie unter "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile"?
Der komplizierte, nicht vom Menschen konstruierte Organismus ist aus seinen Einzelteilen allein nicht zu begreifen (Molekularbiologie) und nicht einmal das Wesen z.B. einer mechanischen Uhr, von Menschen selbst konstruiert, ist aus ihren Teilen, etwa aus den Molekülen eines einzelnen Zahnrades, zu erschließen. Die Analyse allein ist also oft zu wenig, um komplexe Vorgänge zu erfassen.
FRAGE: Wie stellen Sie eine Diagnose?
Die Diagnoseerstellung hat in jedem Behandlungsfall zuerst nach den Gesichtspunkten der modernen naturwissenschaftlichen Medizin zu erfolgen, zum Wohl des Patienten gleichermaßen wie auch - aus forensischen Gründen - zum Wohl des Arztes.
Wenn "das Wohl des Patienten das oberste Gesetz der Medizin" ist, so sind aber auch alle helfenden Behandlungen und daher auch alle dazu nötigen Diagnosen anzuwenden.
Das heißt, daß nach der schulmedizinischen Diagnose auch Diagnosen und Therapien anderer Medizinschulen zu überlegen sind. Erst dann kann entschieden werden, ob in einem konkreten Einzelfall - nach Abwägen aller Vor- und Nachteile:
- nur eine Therapie der modernen Medizin (Operation, Antibiotika usw.) oder
- nur ein anderes Verfahren - wie etwa Akupunktur - angezeigt wäre (z.B. akuter Hexenschuß) oder
- ob eine Kombination beider Verfahren zweckmäßig wäre.
Aber oft ist eine kausale spezifische Ursache und Therapie NICHT bekannt oder möglich, z.B. für die häufigsten, die banalen viralen Infektionen; für die teuersten - den rheumatischen Formenkreis; für die am längsten dauernden, die vegetativen u. psychosomatischen Störungen, und für die tödlichsten, die Gefäßkrankheiten (Hirn- und Herzschlag).
Die meist übliche symptomatische Dauertherapie hat viele Nebenwirkungen und ist teuer. Die körpereigene Regulation wiederherzustellen ist besser, billiger und wird immer mehr vom Patienten gewünscht. Dadurch können die Beschwerden für Monate und Jahre gebessert werden. Vorbeugen ist bekanntlich besser und billiger als Heilen.
FRAGE: Was ist der Vorteil der Traditionell chinesischen Medizin als ganzheitliches System?
Das traditionell chinesische System ordnet anders!
Anstelle von ca. 25.000 Syndromen der modernen Medizin gibt es nur die "Norm".
Die chinesische Diagnose ist die Abweichung von der Norm!
Das Zurückführen zur Norm ist die chin. Therapie!
Nach dem Nobelpreisträger EIGEN hat "das Leben unzählig viele Variationen, aber nur wenige Spielregeln!" Tatsächlich gibt es - chinesisch gesehen - nur wenige Norm-Abweichungen, daher nur wenige Regeln - diese sind leichter lernbar als über 100 Fächer:
- Bei Materie, bzw. Substrat: entweder zuwenig oder zuviel an Blut, Flüssigkeit, Gewicht, Fett etc.
- Bei Funktion, bzw. Tonus der Gefäße: zu wenig (Hypotonie) oder zu viel (Hypertonie)
- Bei Skelett, Muskeln: zu wenig (Schwäche) oder zu viel (Krämpfe, Verspannung)
- Der Tonus der Hohlorgane: zuwenig (Atonie) oder zuviel (Spasmus, Koliken u.s.w.)
Sie sind meist unspezifisch, schnell und ohne Apparate erkennbar (Puls, Zungendiagnose usw.) Nicht oft genug ist auf die moderne Diagnose hinzuweisen, die laufend zu kontrollieren ist, um die beste Therapie (moderne, komplementäre, oder eine Kombination beider) für den Patienten zu finden.
FRAGE: Stichwort Krankheitsvorsorge?
Der "einfache" Arzt behandelt das Symptom, der "gute" die Krankheit und der "vorzügliche" verhindert Krankheit und bewahrt die Gesundheit.
Die Akupunktur behandelt Symptome bei Schock und sonst nicht behandelbaren Leiden. Krankheiten sollten im Sinne einer anhaltenden Regualtionstherapie behandelt werden, als Segment- oder Meridiantherapie.
"Kranke", statt Krankheiten behandeln, entspricht unserer Konstitutionsbehandlung. Prophylaxe , also "vorbeugen statt heilen" ist schon immer und zu allen Zeiten das beste und billigste Konzept der Medizin gewesen. (Die "Hygiene" den alten Griechen, die Impfung, Diät u. vieles andere). Die Vorbeugung spielt eine große Rolle in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM).
FRAGE: Welche Behandlungsarten umfasst die Trad. chin. Medizin?
In das TCM - System sind folgende Behandlungen integriert: Äußere: die verschiedenen Reizarten der Akupunktur, Massage, manuelle Therapie, Bäder, etc.
Innere: Ernährung ("das wichtigste Medikament!"), Heilnahrung, Pharmaka, QI-GONG (Atem-, Konzentrations- und Bewegungsübungen).
Alle Behandlungen erfolgen nach dem gleichen System und nach einheitlichen Denkmodellen: Diagnose als Rückführung zur Norm von Funktionen und Substrat (Materie).
Die inneren Organe, Muskeln, Gefäße und Skelett können zuwenig oder zuviel Funktion (Tonus) haben. Blut, Flüssigkeit, Fett u.a. materielle Bestandteile des Körpers können zuwenig oder zuviel sein. Dieses System ordnet also nach Normabweichungen und eher unspezifischen Ursachen (physikalischen oder psychischen), als nach lokaler und spezifischer Atiologie.
QI ist ein zentraler Denkansatz im TCM - System, wie YIN-YANG oder LOGOS (das erste Wort der Bibel) nicht eindeutig zu übersetzen. QI ist mehrdeutig (Luft, Odem, Lebenskraft...).
Für Leben gibt es meß- und wägbare Faktoren, ebenso für die Immunabwehr; aber es gibt auch nicht meßbare Faktoren wie Glaube, Lebenswille u.v.a. Betrachten wir QI als Summe aller Faktoren, die das Leben erhalten, so kann in der modernen, wie in der TCM alles in praktisch brauchbarer Weise zusammengefaßt werden, was geeignet ist, eine verringerte Lebenskraft zu stärken oder eine überschießende zu dämpfen.
Bei der richtigen (tiefen) Nadelung nimmt der Patient die Nadelsensation wahr, eine Empfindung des Anschwellens, der Hypästhesie, der Schwere und Wärme: man sagt, der Patient spürt das "Ankommen des Qi". Die Nadelsensation ist an bestimmten Punkten besonders leicht auslösbar und kann vom Arzt durch bestimmte Nadeltechniken, jeweils in die gewünschte Richtung gelenkt werden (Qi zur erkrankten Stelle senden). Erreicht die Nadelsensation das erkrankte Areal, kommt es zur Muskelentspannung, zur Schmerz- oder Entzündungsminderung.
QI kann objektiviert werden (Haut-, Temperatur und elektrischen Widerstand, Infrarotabstrahlung, usw. - Qi Gong und Naturwissenschaft G. u. K. KÖNIG).
FRAGE: Was sind die Grundlagen der TCM?
Die vier Grundlagen des TCM - Systems sind unter folgenden Namen bekannt:
- YIN-YANG: ein binäres System (auch der Computer basiert auf einem solchen);
- Meridiansystem: Segementphysiologie (KÖNIG / WANCURA) und Muskelfunktionsketten (BERGMANN)
- 5 Funtionskreise: Wechselwirkung innerer Organe untereinander sowie mit der Körperoberfläche (cutano-myo-viszerale Regulation) für innere (psychische), äußere (physikalische) und biorhytmische Faktoren (Organuhr).
- QI, Summe der Lebensfunktionen (im Gegensatz zur unbelebten Materie): ermöglicht Koordination diätischer, reflektorischer, regulatorischer u.v.a. Faktoren. Als QI-GONG zur psycho-physischen Belastbarkeitssteigerung millionenfach angewandt.
In Europa wurde die TCM lange nicht verstanden, teils aufgrund der Übersetzungen und weil so vieles ganz anders ist: andere Behandlungstechniken (Nadel), andere Einteilungssysteme und andere Denkansätze.
FRAGE: Wie definieren Sie Akupunktur?
Akupunktur ist die richtige Reiz-Art, die richtige Reiz-Stärke und der richtige Reiz-Ort, also eine lokal ansetzende Reiz-Therapie über besonders empfindliche Stellen (Punkte) (KÖNIG - WANCURA 1972).
Zur Reiz-ART:
Die Akupunktur (lat. Kunstwort europäischer Schiffsärzte) heißt in China ZHEN JIU, das Nadeln, das Erwärmen u.v.a. Damit sind viele verschiedene lokale Reizarten gemeint, z.B. Mikro-Aderlaß, Punktmassage, elektrische oder Laser-Reizung u.v.a.
Zur Reiz-STÄRKE:
Die zu erwartende Reaktion des Patienten auf den Reiz vorherzusehen ist bei der Reiztherapie wichtig: Ein zu schwacher Reiz wirkt nicht, ein zu starker führt oft zu einer Verschlimmerungsreaktion.
Zum Reiz-ORT:
Er findet sich lokal (Schmerzstelle), segmental (nach dem Meridiansystem) und nach dem Konstitutionstyp (fünf Funktionskreise).
Akupunktur ist reflektorisch und regulatorisch anwendbar: Reflektorisch-regulatorische Methoden werden von mehr als 80% der europäischen Ärzte ebenfalls angewendet: Als Neuraltherapie, Infiltrations- oder Heilanästhesie (Akupunktur mit der Wassernadel in der chinesischen Terminologie), bei der physikalischen Therapie u.s.w.
FRAGE: Wo liegt der andere Denkansatz?
Anstelle der Versuche, die Umwelt gewaltsam zu ändern, setzten die altchinesischen Ärzte das Bemühen, die Reaktion des Patienten so zu beeinflussen, daß bei gleichbleibender Umwelt sowohl die spezifische als auch die unspezifische Abwehr so gestärkt werden muß, daß Krankheitserreger eben nicht mehr krank machen. Ein Beispiel des östlichen, des chinesischen Denkens: Die umgebende Welt wird als Faktum hingenommen; an ihr kann und soll nicht viel geändert werden.
Der Patient (der Mensch) muß in die Lage versetzt werden, in dieser Umwelt leben zu können.
Dieses Denken läßt die Möglichkeit einer echten Koexistenz offen, während das westliche Denken die angreifenden Faktoren (die krankmachenden Erreger) vernichten und ausrotten will. Diese nicht immer mit Erfolg, wie viele Spätfolgen nach Medikationen beweisen.
Der trad. chin. Weg ist eine zusätzliche, erfolgreiche und vor allem nebenwirkungsfreie Möglichkeit, Krankheiten zu heilen oder zu verhindern.